Robert Baretti
1915-2012
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Selbstbildnis, 1935, Tuschfeder, 13,5 x 9 cm


Robert Baretti in seinem Atelier um 1980
Foto von Robert Baretti 1937 als Student
Robert Baretti in seinem Atelier um 1990
Robert Baretti, 2010
Zu Lebzeiten eine anerkannte und vielgeschätzte Künstlerpersönlichkeit mit weitreichenden Kontakten zum lebendigen Kunstgeschehen in Deutschland und insbesondere im Bodenseeraum, mit zahlreichen Ausstellungen und freundschaftlichen Verbindungen zu gleichgesinnten Künstlern, darf Robert Baretti zu den namhaften Vertreten der inzwischen klassisch gewordenen Moderne der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im deutschen Südwesten zwischen Untersee und Hegau gezählt werden.

Geboren 1915 in Buer - heute Gelsenkirchen - begann Robert Baretti seine künstlerische Laufbahn in den Jahren 1935 bis 1939 mit dem Studium an den Kunstakademien in Düsseldorf und Berlin. Begleitend dazu studierte er Germanistik und absolvierte eine kunsthandwerkliche Ausbildung an der Werkkunstschule in Hildesheim. Die Einberufung zum Kriegsdienst bedeutete 1940 eine jähe Zäsur. Doch während seines Einsatzes beim Heeresnachrichtendienst in Halle war ihm künstlerisches Arbeiten zumindest zeitweise möglich. 1942 erhielt Baretti für seine zeichnerischen Werke den Graphik-Preis „Junges Westfalen" durch den Kunstverein in Münster.

Nach 1945 wirkte Baretti als Kunsterzieher an Schulen in Gelsenkirchen, Beckum und Hamm. Als Mitglied in der neugegründeten progressiven Künstlervereinigung „Junger Westen" in Recklinghausen hatte er 1948 an der Seite von Emil Schumacher, Fritz Winter und Georg Meistermann Anteil an der Aufbruchsstimmung der deutschen Avantgarde in der Nachkriegsepoche. Die starke Ausrichtung der Gruppe auf die reine Abstraktion ließ Baretti jedoch schon nach kurzer Zeit wieder Abstand nehmen und seinen eigenen Weg einschlagen, der ihn zeitlebens zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Gegenständlichen der sichtbaren Wirklichkeit führte.

1960 zog er an den Bodensee nach Güttingen bei Radolfzell. In der Folgezeit wurden seine Person und sein künstlerisches Wirken wichtige Bestandteile des modernen Kunstgeschehens in dieser Region. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen machten auf sein Schaffen aufmerksam. Wichtige Künstlerkollegen wie Curth Georg Becker, Hans Sauerbruch, Rose Marie Schnorrenberg und Rudolf Stuckert gehörten zu seinem engsten Freundeskreis. Neben seinem freien künstlerischen Schaffen wirkte Robert Baretti von 1968 bis 1983 als umtriebiger Leiter und Organisator der „Allensbacher Sommerausstellungen" und setzte sich dort entscheidend für die Förderung moderner Kunst am Untersee ein. Die letzte große Einzelausstellung fand 1995 in Gelsenkirchen statt. Im weiteren Verlauf der 90er Jahre zog sich Baretti immer mehr aus dem Kunstbetrieb zurück, blieb aber weiterhin künstlerisch tätig. Im Februar 2012 verstarb Robert Baretti im Alter von 97 Jahren in Singen.

Im Mittelpunkt des künstlerischen Wirkens von Robert Baretti standen die Themen Natur, Mensch und Stilleben. Landschaftsbilder, Figuren- und Porträtdarstellungen sowie der konzentrierte Blick auf die stille Welt der Dinge prägen das motivische Panorama seines Gesamtwerkes. Zum wichtigsten Gestaltungsfaktor wurde die Farbe. Als lichthaltige Eigenkraft und dynamische Energie durchströmt sie Barettis ausdrucksvolle Kompositionen und bestimmt ganz wesentlich seine expressive Formensprache.
Es geht immer um das Problem der Gestaltung der Komposition durch Form und Farbe; Senkrechte und Waagerechte so einzubeziehen in die Komposition, ohne daß diese eine tote Konstruktion wird, die Farbgewichte so zu verteilen, daß keine Disharmonie entsteht(…)".
So formulierte Baretti 1990 die Intentionen seiner Kunst und sein Verhältnis zur Farbe. Neben der Ölmalerei avancierte folgerichtig das Aquarell zum zentralen Medium seines Schaffens. Die transparente Durchdringung von Farbe und Licht, von Fläche und Raum, kennzeichnet das Gestaltungsprinzip seiner Arbeiten. Hinzu kommt das Streben nach harmonischer Ausgewogenheit und formalästhetischer Neuinterpretation des Gesehenen.

Frühe Arbeiten aus der Studienzeit der 30er Jahre, gezeichnete und aquarellierte Stilleben und Figurenszenen, reflektieren den klassisch-akademischen Motiv- und Stilkanon, zeigen Baretti aber bereits als versierten Zeichner. Zu erwähnen ist hierbei besonders die 1937/38 ausgeführte Serie mit Szenen aus dem 30-jährigen Krieg nach der Erzählung des „Simplizissimus" von Grimmelshausen. Nach 1945 und vor allem im Verlauf der 50er Jahre setzte das wesentliche künstlerische Schaffen ein. Baretti entdeckte fortan den Eigenwert der Ausdrucksmittel Form, Linie und Farbe und gelangte zu Bildschöpfungen, die seinen Willen nach einer eigenständigen Umsetzung des Beobachteten deutlich werden lassen. An die Stelle einer bloßen Nachahmung der Wirklichkeit tritt mehr und mehr der Wille zur subjektiv gesteigerten, kraftvollen Umdeutung der Motive.

Der für Barettis Bildwelt so typische Dialog von Farbe und Licht offenbart sich am eindrucksvollsten in seinen menschenleeren Landschaftsdarstellungen. Regelmäßige Reisen in den Süden nach Frankreich, Italien, Spanien und ins Tessin und das Erlebnis der Lichtfülle und des Formen- und Farbenreichtums der mediterranen Regionen am Mittelmeer faszinierten den Maler und inspirierten ihn zu zahlreichen Gemälden und Aquarellen. Sie spiegeln mit frischer Leichtigkeit geradezu die Licht- und Farbaura des Südens oder unterziehen die Landschaft mit geschichteten Überlagerungen von Bildstrukturen und Farbebenen einer abstrahierenden Neuformulierung.

Der Durchbruch zum reifen Stil bringt flächige Formvereinfachungen, strahlende Farbkontraste, klare, streng und oftmals kubisch-tektonisch aufgebaute Kompositionen hervor. Dies äußert sich auch in seinen zahlreichen Stilleben. Trotz ihrer statischen Ruhe gewinnen diese gerade aufgrund der intensiven Verschränkung von Farbe, Form und Licht eine sinnliche Vitalität und kultivierte Eleganz.

Souverän und experimentierfreudig, feinsinnig und virtuos agierte Baretti mit den Möglichkeiten der Aquarelltechnik: als Bildträger bevorzugte er grobfasriges Japanpapier, das er gerne auch manuell zerknitterte, dann wieder glatt strich und auf die so entstandenen reliefartigen Oberflächen die Wasserfarben zu einem vibrierenden Gefüge aus Farb- und Lichtbewegungen verdichtete. Seine Motive fand Baretti nicht nur im Süden sondern natürlich auch in der unmittelbaren Umgebung am Untersee, auf der Höri und im Hegau. Zahlreiche Seelandschaften und Naturdetails bezeugen seine Beschäftigung mit dieser Gegend.

Neben Landschaften und Stilleben widmete sich Baretti auch immer wieder dem Bild des Menschen. Hier zeigt sich Baretti als einfühlsamer Beobachter, der den äußeren Habitus und die charakterlichen Eigenschaften seiner Personen gekonnt in Szene setzt. Stilistisch pflegte Baretti in seinen Menschenbildern einen Expressiven Realismus, wie er für die südwestdeutsche Kunst dieser Zeit charakteristisch war.

Ein weiteres Aktionsfeld seines Schaffens erschloss sich Baretti seit den 50er Jahren im Medium der Druckgrafik. Holz- und Linolschnitte sowie teils collagierte Siebdrucke reflektieren in Inhalt und Form das motivische und stilistische Repertoire seiner Gemälde und Aquarelle. Auch in den druckgrafischen Blättern konzentriert sich Baretti auf die ausdrucksfördernden Eigengesetzlichkeiten der Gestaltungsmittel und gelangt zu ebenso wuchtig-kompakten wie feinfühlig-subtilen Bildlösungen.

Zu den Besonderheiten in Barettis Schaffen gehört schließlich die Hinterglasmalerei. In jener traditionsreichen und dem Bereich der Volkskunst entstammenden Bildtechnik gelangte er zu einer völligen Durchdringung von Farbe, Form und Licht, so daß sich das Gezeigte, in der Hauptsache Architekturkulissen, zu einem rhythmisch pulsierenden Farbmosaik wandelt. Spiegelungen und Reflexe der Glasoberflächen sorgen für zusätzliche Effekte - die Hinterglasbilder scheinen wie aus sich selbst heraus zu leuchten.

Robert Baretti blieb bis zuletzt künstlerisch tätig. In den späten Lebensjahren konzentrierte er sich zunehmend auf das kleine Format, wobei seine schöpferische Kraft keineswegs nachließ.

Das künstlerische Werk von Robert Baretti wurzelt in der Orientierung an der französischen Moderne seit dem Nachimpressionismus und dem deutschen Expressionismus. Seine Bilder zeigen vielfältige Einflüsse von Künstlern wie Cézanne, Matisse oder Picasso, ebenso von Klee, Feininger oder Schmidt-Rottluff. Ausgehend von diesen stilprägenden Impulsen entwickelte er seine eigene, unverwechselbare Bildsprache, die vor allem in der Technik des Aquarells eine prägnante und überzeugende Ausdrucksform gewann. Barettis Kunst entfaltete sich im zeittypischen Spannungsfeld zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Stets vertraute er auf die formbildende Kraft der lichthaltigen Farbe als primärer Ausdrucksträger seiner Bilder.

Person und Schaffen von Robert Baretti stellen ein beachtenswertes Kapitel in der Kunstgeschichte der Bodenseeregion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar.

© Dr. Andreas Gabelmann, Kunsthistoriker, Kurator der Baretti - Ausstellung 2014 in Radolfzell